SERIE – Freunde, Leben und Studium in Costa Rica: anders als erwartetInternational in der WG, Ernüchterung in der Uni
VOGELSBERGKREIS. Die 22-jährige Michelle Ricarda Bauer aus Feldatal hat gerade spannende acht Monate in Mittel- und Südamerika hinter sich. Als Sprachenstudentin verbrachte sie ein Auslandssemester in San José, Costa Rica, nutzte den Aufenthalt aber auch für Ausflüge nach Mexiko, Nicaragua und Brasilien. Für Oberhessen-live berichtet sie von ihren Erfahrungen in diesen Ländern. Im ersten Teil ging es um Carneval in Brasilien, diesmal erzählt sie vom studentischen Leben in Costa Rica: ganz anders als erwartet.
Aufgrund meines obligatorischen Auslandssemesters habe ich im Juli 2013 meine große Reise nach Mittelamerika gestartet. Für die erste Woche sind eine Freundin und ich erst einmal in ein Hostel gezogen. Dort haben wir gleich zwei unserer besten Freunde kennengelernt, Jorge, ein Paraguayer und Clarisse, eine Französin. Trotzdem war uns der Ort jedoch zu teuer und wir fanden nach einer Woche ein Haus mit neun Zimmern, das ein benachbarter Costa Ricaner vermietete. Sein Sohn wohnte ebenfalls in der WG, sowie eine weitere „Tica“, so nennen sich die Costa Ricaner selbst, die neun Jahrein den USA gelebt hat und eigentlich nur dorthin zurückziehen will. Außerdem wohnten dort noch drei Franzosen sowie eine weitere Deutsche und eine Mexikanerin. Gesprochen wurde ausschließlich Spanisch, dafür waren wir schließlich in Costa Rica.
Nach der Ankunft mussten wir auch schon direkt in die Uni. Dort fing es erst einmal an mit Visumunterlagen besorgen und vor allem: zahlen, zahlen, zahlen. Das fand ich persönlich teilweise schon eine Frechheit, was alles für Gebühren erhoben werden. Ich weiß aber von meinen Kommilitonen, dass es in anderen Ländern genauso ist. Anfang August fing dann endlich der Unterricht an.
Studieren in Costa Rica: wie Schule in Deutschland
Aber nach der ersten Woche war mir die Vorfreude bereits vergangen. Für jedes Fach benötigte man teilweise riesige Skripte, das hieß also wieder zahlen, zahlen, zahlen. Der Unterricht in Costa Rica ähnelt eher dem Schulunterricht in Deutschland. Die Klassen sind meist nie größer als 30 Personen, es gibt sogar noch mündliche Beteiligung und alle sitzen auf Stühlen mit angeschraubtem Tischchen, so wie es in Deutschland im Musikunterricht manchmal ist. Der Unterricht geht teilweise extrem strukturiert voran. Am Anfang werden die wöchentlichen Hausaufgaben verglichen und dann Übungen mit dem neuen Thema ausgeteilt, was selbstverständlich zu Hause erarbeitet wurde.
In BWL war es so, dass wir jede Woche gut 200 Seiten lesen und diese dann zusammenfassen mussten. Darüber wurde dann jede Woche ein Test geschrieben. Außerdem gab es zwei Klausuren und zwei Hausarbeiten. Nach zwei Wochen habe ich BWL geschmissen, schließlich wollte ich mein Auslandssemester irgendwo auch genießen, die Wochenenden waren nämlich immer mit Sorgen um BWL gefüllt. Meine anderen vier Fächer waren Spanisch. Eine Stunde in der costa ricanischen Uni entsprechen fast drei Realstunden. Wenn wir zwei Stunden an einem Tag hatten, sind wir fast umgefallen vor Müdigkeit, denn wenn man sich neben dem Unterrichtsgeschehen auch noch auf die Sprache konzentrieren muss, kann das extrem anstrengend sein.
Pro Semester zwei Tests, zwei Klausuren, eine Hausarbeit
Für jedes Fach mussten bis zum Ende des Semesters zwei Tests, zwei Klausuren absolviert, sowie eine Hausarbeit geschrieben werden. Insgesamt also ein größerer Aufwand als in Deutschland, hier hat man meist eine Klausur am Ende des Semesters oder eine Hausarbeit. Der Stoff war teilweise jedoch um einiges einfacher und wir waren manchmal besser als unsere costa ricanischen Kommilitonen, und das trotz der Sprachbarriere. Die „Universidad de Costa Rica“ ist eine Campus-Uni, das heißt alle Fakultäten sind auf einem riesigen Grundstück. In der Nähe der Biologie Fakultät ließ sich manchmal sogar ein Faultier blicken, das dort wohnt.
Leben in Costa Rica: Mitglieder der WG beim gemeinsamen Abend mit Clarisse (Frankreich) Leo (Frankreich) und Leidy (Mexiko)
Freundschaften schließen im Unterricht war fast unmöglich. Zwar gab es öfter Gruppenarbeit, aber oft wurden wir irgendwie nicht richtig integriert. Das Interesse an Austauschstudenten war ziemlich gering. Erst am Ende des Semesters wurden wir auf eine Grillparty eingeladen, aber an dieser konnten wir dann nicht mehr teilnehmen, da wir uns bereits auf großer Reise befinden würden. Auch sind Costa Ricaner unglaublich unzuverlässig. Wenn man Materialien von den Mitstudenten haben wollte und die Telefonnummer mitgab kam sowieso nie etwas an. Wenn musste man sich schon ihre Daten aufschreiben und ihnen hinterher telefonieren. Und selbst dann war eine erfolgreiche Materialübergabe nicht gesichert. Leider war das auch bei Privatangelegenheiten und Terminen öfter so. Ein pünktlicher Costa Ricaner? Niemals.
Hauspartys und Treffen im „Fito`s“
Im Endeffekt habe ich Freundschaft mit zwei Costa Ricanern geschlossen. Jess, meine Mitbewohnerin und Jonathan, einen Costa Ricaner den wir auf einer Party kennengelernt hatten und der dann öfter mit uns auf Reisen ging. Mit den anderen Austauschstudenten haben wir natürlich auch Freundschaften geschlossen und es wurden Partys gefeiert. Das ein oder andere Mal hat einer der Studenten, der die Möglichkeit dazu hatte, eine Hausparty geschmissen.
Außerdem wurde sich jeden Mittwoch in der Bar-Straße im „Fito`s“ getroffen und zu späterer Stunde ging es dann öfters noch in die Karaoke Bar oder ähnliche Orte. Von der Uni aus wurde jedoch relativ wenig organisiert. Semester- und Fachschaftspartys sind in Costa Rica ein Fremdwort. Einmal wurde ein internationaler Kochtag organisiert, aber an diesem konnte ich leider nicht teilnehmen. Ansonsten kann man von den Partys in Costa Rica erzählen, dass dort hauptsächlich Reggea und Electro gespielt wird. In Costa Rica herrscht eine unglaubliche Antipathie gegenüber Reggeaton, was eigentlich eine der vorherrschenden Musikrichtungen auf Partys im spanischsprachigen Lateinamerika bildet.
Hohe Lebenshaltungskosten in Costa Rica
Die Lebenshaltungskosten in Costa Rica sind extrem hoch. Unsere Zimmer kosteten 300 Dollar beziehungsweise 225 Euro im Monat. Für ein Land in Mittelamerika, empfand ich das als extrem hohen Preis. Trotzdem war das Haus an allen Ecken am Auseinanderbrechen. Heißes Wasser gab es nur für eine bestimmte Zeit, manchmal fehlte es ganz, Waschen konnten wir nur kalt. Und dann tropften die Duschen, und Wasser tropfte aus dem oberen Stockwerk ins untere. „Alles kein Problem“, meinte unser Vermieter, das Haus sei mit seinen 30 Jahren ja auch schon ein ziemlich alter Schinken.
Das Teuerste war aber das Essen. Selbst wegen einer Packung Nudeln stand ich ewig vor dem Regal und suchte den besten Preis. Die Günstigsten waren eine Mini Packung für einen Euro. Ein Stückchen gut schmeckenden Käse gab es ab drei Dollar. Unsere Hauptnahrungsmittel waren Tortillas, Thunfisch und Nudeln. Hatten wir Zeit, gingen wir sonntags auf den Markt. Dort gab es keine Lebensmittelsteuer und das Gemüse und Obst war günstig. Zwölf Limetten ein Dollar, drei Bund Spinat ein Dollar oder ein Sack Tomaten ebenfalls ein Dollar. Da deckten wir uns immer für die gesamte Woche oder länger ein und froren alles ein um es möglichst lange haltbar zu machen.
Das typische Mittagessen in Costa Rica ist übrigens der sogenannte „Casado“. Er besteht aus Reis und Bohnen, einem Typ Fleisch, gekochter Banane ,sowie Gemüse, Pommes, Kartoffelbrei oder ähnlichem als Beilage. Dazu ein Getränk. So einen Casado bekommt man dafür schon ab ca. vier bis fünf Dollar. Morgens gibt es dafür den „Gallo Pinto“, ebenfalls Reis und Bohnen serviert mit Ei und Tortilla.
Als Fazit kann man sagen, dass das Leben in Costa Rica extrem anders ist. Ganz abgesehen von fehlender Infrastruktur und sanierungsbedürftigen Straßen. Busfahrten dauern dort Stunden, obwohl das Land mit 51000 Quadratkilometern eher klein ist. Selbst die Hauptstadt San José hat nur cirka 600000 Einwohner, und das spürt man auch. Außer in der Innenstadt kommt nicht viel Großstadtflavour auf, unser Stadtteil San Pedro erinnerte mehr an eine Kleinstadt.
„Joints sind der Dauerbegleiter“
Das Leben in Costa Rica ist irgendwie lockerer. Man macht sich dort weniger Sorgen, und Joints sind der Dauerbegleiter jedes zweiten Einwohners, selbst auf Busfahrten wird der manchmal gezückt. Auch ist das Leben in Costa Rica oft noch vom Leben auf dem Land geprägt. Viele Einwohner leben weit abseits der Provinz und im Einklang mit der Natur, denn davon hat Costa Rica am meisten. Über 50 Prozent des Landes besteht aus Wäldern. Große Firmen und Industrialisierung gibt es in diesem Land noch nicht soviel, und viele Menschen leben vom Tourismus außerhalb der Hauptstadt.
Die Costa Ricaner erscheinen im Großen und Ganzen als ein sehr glückliches Volk. Ich persönlich könnte mir trotzdem nicht vorstellen für immer in Costa Rica zu leben, denn mir wäre es auf Dauer zu ruhig dort. Aber für die ein oder anderen Ferien werde ich mit Sicherheit nochmal zurückkehren. Als Reiseland ist Costa Rica einfach der Wahnsinn. Dazu aber dann später wieder mehr.
Hallo Stent,
es tut mir leid, dass der Erfahrungsbericht so negativ herünergekommen ist, das wollte ich nicht. So schlecht fand ich Costa Rica gar nicht, ganz im Gegenteil ich habe meinen Aufenthalt durchaus genossen! Es war eine schöne Zeit die ich auf keinen Fall missen möchte!! Und mit Sicherheit werde ich dorthin zurückkehren. Trotz allem kann ich dir nicht in allen Punkten zustimmen, wie du gesagt hast, jeder macht andere Erfahrungen. Ja, der Arbeitsaufwand war zu bewältigen, da ich nicht wie du es hier darstellst, jedenn Tag feiern war. Das war zum größten Teil gar nicht möglich, da vor allem die Mexikaner sich sehr auf das Lernen konzentriert haben. Aber ich muss zugeben, ich habe dieses Semester vor allem zum Reisen genutzt, sonst wären mir die Wochenenden ziemlich langweilig geworden. und ich habe es trotzdem geschafft alle Kurse zu bestehen. Trotz allem bevorzuge ich das deutsche Uni System. Ich habe auch nicht ständig gefehlt, sondern pro Fach höchstens zweimal, wenn überhaupt. und aus diesen paar Unterrichtsstunden habe ich nicht einmal meine Materialien zurückbekommen. und wir haben einiges dafür getan, nach 3 Wochen hatte ich dann aber keine Lust mehr. Wenn dann irgendwann eine Nachricht kommt „Habt ihr die Materialien jetzt?“ nachdem man diese person zweimal gefragt hat, dann ist bei mir leider der Bogen überspannt. Ich finde es etwas krass von dir mich darzustellen, als hätte ich nur gefeiert und wäre nie in die Uni gegangen. Auch die Pünktlichkeit habe ich anders wahrgenommen. Unsere costa ricanischen Freunde waren gerne zu spät und haben uns so das ein oder andere mal fast den wirklich pünktlichen Bus verpassen lassen. Und die Profs waren auch nicht immer pünktlich. Zum Abschluss möchte ich noch einmal sagen, dass auch ich jedem die Universidad de Costa Rica empfehle, sehr nette Leute dort, tolles Land! Jedoch muss ich auch sagen, wer schon einmal in anderen Ländern Austausch gemacht hat, könnte ähnliche Erfahrungen machen wie ich, aber mit deinen Tipps, könnte es ja vielleicht besser klappen als bei mir, wobei ich im Endeffekt meinen Aufenthalt auf meine Art und Weise in vollen Zügen genossen habe.
Pura Vida
Michelle
Liebe Leser,
als mir Freunde den Link zu Michelle Ricardas Artikel geschickt haben, hatte ich mich zunächst sehr darüber gefreut, denn auch ich teile mit ihr die wertvolle Erfahrung bereits an der Universidad de Costa Rica studiert zu haben.
Was ich jedoch hier zu lesen vorfand, das hinterlässt in mir ein solches Entsetzen, dass ich meine Meinung nicht länger zurückhalten konnte. Dieser Erfahrungsbericht ist einfach nur traurig und es tut mir ausgesprochen leid, dass Michelle Ricarda die Universidad de Costa Rica als so schlecht beschreibt und ich hätte ihr es wirklich gegönnt, genau so herzliche „Ticos und Ticas“ kennenzulernen, wie viele meiner Austausch-Kollegen und auch ich dies getan haben.
In vielen Punkten kann ich ihr natürlich eindeutig recht geben. Der Arbeitsaufwand der Kurse an der UCR ist zum Teil sehr hoch, jedoch wirklich zu bewältigen, besonders wenn man sich nicht immer nur auf Hauspartys, Partys in der Bar-Straße im Fito`s und in Karaokebars oder auf Reisen aufhält. Auch dass sich die „Ticos“ im Unterricht zunächst sehr skeptisch gegenüber den Austauschstudenten verhalten, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Geht man jedoch in der nächsten Unterrichtsstunde einfach offen auf sie zu, so sind diese genau so freundlich und zuvorkommend. Ich denke, die Menschen verhalten sich einem gegenüber eben immer nur so, wie man sich auch ihnen gegenüber verhält. Manchmal muss man vielleicht einfach den ersten Schritt tun und die Kommilitonen fragen, ob sie gerne in der Mittagspause in die Cafeteria mitkommen würden um gemeinsam „casado“ zu essen. Dann wird meiner Erfahrung nach auch Hilfsbereitschaft groß geschrieben in Costa Rica. Sollte man einmal krank gewesen sein, helfen einem die anderen Studenten gerne, die Materialien zu beschaffen, aber natürlich kann man nicht ständig nur fehlen und erwarten, dass man die Materialien schon bekommen wird. Auch auf Pünktlichkeit wird in Costa Rica viel Wert gelegt, ganz im Vergleich zu anderen Ländern Mittelamerikas. Die einzigen „Zu-Spät-Kommer“ meiner Vorlesungen waren eigentlich die Mexikaner und wir Deutschen, den Ticos und vor allem den Professoren ist Pünktlichkeit sehr wichtig. Genau so wie sie dies auch übrigens bei den vielen Fernbussen ist, die zumindest in San José immer fahrplanmäßig an Ort und Stelle exakt auf die Minute abfahren.
Ich möchte Sie, liebe Leser, nicht mit allen Einzelheiten langweilen, in einigen Punkten teile ich Michelle Ricardas Meinung, in vielen jedoch nicht, aber schließlich macht ja auch jeder Mensch andere Erfahrungen. Ich will denjenigen die sich wirklich für Costa Rica oder auch die dortige Universität interessieren jedoch sehr ans Herz legen, sich nicht von einem derart traurigen und vielleicht teilweise auch falschen ersten Eindruck irritieren zu lassen und Ihnen empfehlen, weitere Artikel darüber zu lesen.
Pura Vida.