Gefühlt ist Frühling – Rückblick auf einen Winter, der keiner warNur dreimal ist es noch wärmer gewesen
VOGELSBERGKREIS. Reden wir mal übers Wetter! An dem Samstag, der den gefühlten Frühling eingeläutet hat: überall Spaziergänger, die Straßencafés voll. Wer genauer hinschaut, sieht, dass seit Wochen Blumen blühen, die eigentlich noch schlafen sollten. Wer meint, dieser Winter war wirklich ungewöhnlich warm, der hat Recht. Und Oberhessen-live hat das jetzt quasi amtlich: Der hessische Winter 2013/14 war der viertwärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Eine, die diese Entwicklung seit vielen Jahren verfolgt, ist Walfriede Becker aus Reimenrod.
Jeden Morgen um 7 oder 8 Uhr macht sich die 74-Jährige in Reimenrod auf den Weg zu ihrem Gärtchen am Dorfrand, egal ob es regnet oder schneit. Dort steht nämlich eine glänzende Röhre, und das darin gesammelte Nass verrät, wieviel es in den letzten 24 Stunden geregnet hat. Das ist einer der Werte, die sie dann nach Offenbach durchgibt – dorthin, wo der Deutsche Wetterdienst seinen Sitz hat. Und bei aller Technisierung: Auf die Daten von „ehrenamtlichen Beobachtern“ können die Meteorologen auch in Zeiten des Regenradars nicht verzichten. Deshalb steht Walfriede Becker seit 38 Jahren früh auf, auch wenn ihr nicht danach ist: raus zur Niederschlagsstation. Sie hat also ein Gefühl für das Wetter, und sie stellt schonmal fest: „Dieser Winter war schon ungewöhnlich.“
Darin fängt sich das Wasser: Walfriede Becker zeigt den Niederschlagstrichter ihrer Wettermessstation in Reimenrod.
Der Winter 2013/14 „unter den Topfive“
Inwiefern, das kann Andreas Friedrich genauer sagen. Der Pressesprecher des Deutschen Wetterdienstes stellt gegenüber Oberhessen-live fest: „Dieser Winter war der viertwärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.“ Das bedeutet: seit 1881. Heißt auch: Es gab noch wärmere Ausgaben, aber „das ist schon außergewöhnlich, wenn man unter den Topfive landet.“ In Zahlen drückt sich das so aus: Die Durchschnittstemepratur betrug 3,7 Grad mit einer Spitze von 16,1 Grad an Weihnachten bei Aschaffenburg. Die standardmäßige Vergleichsperiode 1961 bis 1990, so der technische Begriff, besagt, was für hessische Winter normal ist: 0,3 Grad Celsius.
Obgleich es sich vielleicht mangels erhellendem Schnee anders anfühlte, gehört dieser Winter zugleich bis jetzt zu den sonnenreichsten, stellt der Wettermann fest: 156 Stunden stand die Sonne am Himmel, „136 sind das Soll.“ Im Vorwinter 2012/13 – da trog das Gefühl von Lichthunger nicht, sagt Andreas Friedrich: „Das war der sonnenärmste seit 1951.“ Apropos Schnee.
Nur zweimal fiel Schnee – im Dezember
Den zu messen, zählt auch zu den Aufgaben der Beobachterin Walfriede Becker in Reimenrod, wo das Wetter übrigens bereits seit 1900 offiziell beobachtet wird. Dafür liegt in ihrem Garten eine Matte. Ist Schnee gefallen, schiebt sie die Matte zum Teil frei und misst mit dem Zollstock. In dem Formblatt – inzwischen auch digital via Internet – trägt sie ein: „6“ oder „7“ oder „8“ – das steht vor der Millimeter-Angabe und bedeutet: flüssig, fest oder fest/flüssig. In diesem Winter war es fast nur die 6. „Es hat ja nur zweimal geschneit“, resümiert Walfriede Becker – beide Male im Dezember. Einmal waren es 16 Zentimeter, einmal fünf Zentimeter. Ein Winter fast ohne Schnee – und mit wenig Regen, stellt die Beobachterin fest. Stimmt, bestätigt Andreas Friedrich vom Wetterdienst: Hessenweit hat es nur 118 Liter Wasser pro Quadratmeter gegeben, normal seien 190.
Temperaturmäßig wurde der aktuelle Winter in Hessen also nur dreimal überboten, erzählt der Pressesprecher. Er weiß sogar im Kopf, wann das war, gar nicht so lange her: einmal 1974/75, dann 1989/90. Der absolut wärmste Winter kam erst nach der Jahrtausendwende: 2006/07. Aber er warnt auch davor, sich jetzt auf den Frühling zu verlassen. „Einen Rückfall in Frosttemperaturen halte ich für nicht unwahrscheinlich.“
68 ehrenamtliche Beobachter in Hessen – weitere werden gesucht
„Wir brauchen ein möglichst engmaschiges Netz von Beobachtern, um verlässliche Daten liefern zu können“, erklärt Elke Diedrich von der Regionalen Messnetzgruppe des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach. Diese Beobachter dienten einerseits zur Einstellung des Regenradars, aber auch, um regionale Besonderheiten erkennen zun bewerten zu können. „Diese Daten braucht man zum Beispiel in der Wasserwirtschaft.“
So gibt es hessenweit aktuell 41 automatische Niederschlagsstationen – und 68 konventionelle mit Beobachtern wie Walfriede Becker, die diesen Dienst ehrenamtlich versehen. Solch einen Beobachter sucht der Deutsche Wetterdienst aktuell noch für Bad Salzschlirf – und für eine automatische Station Platz in Großenlüder (Kontakt: 069-8062-2882). Die wackere Beobachterin in Reimenrod kann in zwei Jahren übrigens 40-jähriges Jubiläum feiern. Und dann, so weiß Elke Diedrich, steht ihr eine hohe Auszeichnung bevor.
Von Axel Pries
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