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Bürgerversammlung "Windkraftprojekte in Schwalmtal und Umgebung"Ein Punktsieg für die Windkraftgegner?

BRAUERSCHWEND (cdl). Es war eine erwartet hochemotionale Veranstaltung am Mittwochabend in Brauerschwend. Die Gemeinde Schwalmtal hatte zur Bürgerversammlung „Windkraftprojekte in Schwalmtal und Umgebung“ in die Volkshalle eingeladen und ließ Projektierer und Windkraftgegner zu Wort kommen.

„Herr Hagemeier, Sie sollten nicht so tun als hätten Sie unsere Umweltverträglichkeitsstudie schon gelesen und sagen, da ist etwas noch nicht berücksichtigt. Sie ist noch gar nicht veröffentlicht“, so Gerd Morber, Bereichsleiter für die Windenergienutzung von Hessenenergie. Die angeblich noch nicht veröffentlichte Studie hatten die Windkraftgegner jedoch mitgebracht und hielten Sie triumphierend in den Händen. Das war nur ein Beispiel, der hitzig geführten Bürgerversammlung, zu der rund 150 Schwalmtaler gekommen waren.

Zu Beginn der Veranstaltung machte Bürgermeister Timo Georg deutlich, dass es sich um eine Informationsveranstaltung, und um keine Entscheidungsveranstaltung handelt. Darüber hinaus stellte er vorab klar: „Die Gemeinde Schwalmtal ist keine Genehmigungsbehörde.“ Die nächsten Beschlüsse würden am 9. November in der Regionalversammlung getroffen. Um die Bürger zu informieren, stellte er zunächst noch einmal alle in Planung befindlichen Projekte rund um Schwalmtal vor.

Von drei Seiten könnte gebaut werden

Im Stadtgebiet Lauterbach (Reuters/Maar) sind an der Gemarkungsgrenze bis zu vier Anlagen geplant. Im weiteren Bereich stehen zwei Bestandsanlagen. Dort könnte eine weitere hinzukommen. Es liege jedoch kein Bauantrag vor. In der weiteren Umgebung plant Hessenforst im Staatswald mehrere Anlagen. Am Kohlhaupt rund um den Bastwald plant Hessenenergie vier Anlagen. Drei davon sollen auf Gemeindeeigenen Gebiet stehen. „Für die Gemeinde geht es da um 100.000 Euro jährlich, da mache ich gar keinen Hehl draus“, so Georg. In Rainrod im Scheuernwald sind weitere drei Anlagen geplant. Hinzu kommen vier weitere Anlagen im Alsfelder Stadtwald am Homberg. Eine ablehnende Stellungnahme zu den Alsfelder Anlagen der Gemeinde Schwalmtal liege vor und werde aufrechterhalten.

Es gebe bis auf die angesprochenen Flächen keine weiteren Vorrangflächen auf dem Gebiet der Gemeinde. Bei den geplanten Anlagen auf den gemeindeeigenen Grundstücken habe man auf möglichst großen Abstand von der Wohnbebauung geachtet und bei der Planung die Vorbelastung der Flächen durch Mülldeponie und zwei Bestandsanlagen mit einbezogen. Ursprünglich seien acht Anlagen geplant gewesen, aber wegen Umweltschutz und der Nähe zu den Steinbrüchen, habe die Anzahl auf vier reduziert werden müssen.

Darüber hinaus informierte Georg, dass es in der Gemeindevertretersitzung keine grundsätzliche Positionierung zum Thema gebe. Die im März neu gewählten Vertreter wollten sich aber damit auseinandersetzen. In seiner Funktion als Bürgermeister werde er künftig die Position der mehrheitlichen Entscheidung der Gemeindevertreter vertreten.

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Bürgermeister Timo Georg informierte über geplante Projekte.

Betreiber treffen auf Widerstand durch Windkraftgegner

Zur Informationsveranstaltung waren sowohl die Initiative gegen die Windkraftanlagen als auch Vertreter der Windkraftprojektierer erschienen. Abwechselnd trugen Gegner und Befürworter ihre Argumente vor. Die Windkraftgegner sprachen von drei Initiativgruppen bestehend aus Betreibern, Grundstückbesitzern und Gegnern.

Der geplante Windkraftausbau steht aus Sicht der Windkraftgegner in keinem Verhältnis zur Natur. „Sie werden auf Widerstand von uns Bürgern stoßen, wenn Sie hier bauen wollen. Das nehmen wir nicht einfach so hin“, so Horst Cerny.

Der Bereichsleiter Windenergienutzung von Hessenenergie Gerd Morber erklärte, dass seit November 2012 ein städtebaulicher Vertrag mit der Gemeinde Schwalmtal abgeschlossen worden sei. Dieser beinhalte viele Regeln, wie Bürgerbeteiligung, Gewerbesteuer und vieles mehr. Aufgrund von Rotmilan, Uhus und der Entfernung zu den Steinbrüchen plane man am Bastwald nur noch vier anstatt acht Anlagen. Man habe eine Umweltverträglichkeitsstudie erstellt, die im August dieses Jahres aktualisiert worden sei.

Die vier neuen Anlagen sollten links und rechts der Bastwaldzufahrt entstehen. Die Anlagen hätten eine Nabenhöhe von 140 Metern und seien insgesamt 200 Meter hoch. Das Investitionsvolumen betrage 20 Millionen Euro und die Inbetriebnahme für 2017 vorgesehen. Die Unterlagen für den Windpark Brauerschwend würden bei der Gemeinde und dem RP für vier Wochen offengelegt. Insgesamt bestehe eine Einspruchfrist von sechs Wochen. Seit drei Jahren laufe das Genehmigungsverfahren und es komme für die Bewohner zu keinerlei Schallemissionen aufgrund des großen Abstands zum Dorf.

In Rainrod plant ein anderer Projektierer

Jörg Süllwald, Projektleiter von wpd, stellte den aktuellen Stand der Planungen im Scheuernwald in Rainrod vor. Der Unterschied sei, dass man mit den Planungen in Rainrod weit fortgeschritten sei, während die weitere Planung von sechs Anlagen in Brauerschwend im Staatswald von Hessenforst noch gar nicht abgeschlossen sei.

Er wies darauf hin, dass in den letzten Jahren die Gesetze sich stark geändert hätten und man alle Auflagen für Schattenschlag und Lärm durch Flügelschlag einhalten müsse. Außerdem seien bereits genügend ausgebaute Wege vorhanden, weil die Strecke ganzjährig für den Lkw-Verkehr freigegeben sei und die Wege von Holzlastern ausgiebig genutzt würden.

Dr. Martin Böhm referierte über mögliche Gesundheitsrisiken

Dr. Martin Böhm, Facharzt für Innere Medizin, hatte sich dazu bereit erklärt, einen Vortrag über mögliche Gesundheitsrisiken zu halten. Da Dr. Böhm sich seit Jahren im Verein „Schöner Ausblick Elbenrod“ engagiert und bekennender Windkraftgegner ist, nutze er sogleich die Gelegenheit, über die Windkraft im Allgemeinen zu sprechen. Er hatte eine Windkarte von Hessen mitgebracht und machte deutlich, dass der Standort Vogelsberg bei den Windgeschwindigkeiten gar kein so guter Standort sei. Es gebe viel bessere Standorte in Hessen.

Im Anschluss machte er auf die bekannten Probleme der erneuerbaren Energien und die fehlenden Speichermöglichkeiten aufmerksam. Er empfahl den Anwesenden selbst im Internet zu recherchieren, da gebe es schöne Tools. Mit ihnen können man sich je nach Bedarf und Sichtweise den Nutzen und Ertrag schön beziehungsweise schlecht rechnen. Des Weiteren störte ihn, dass die vielen unterschiedlichen Projektierer immer nur über die eigenen Anlagen sprechen und immer das Gesamtbild außer Acht lassen würden.

Sein eigentlicher Vortrag sollte sich aber dann doch um die gesundheitlichen Aspekte drehen. Am meisten errege die Beschallung die Gemüter, hinzu kämen Schattenschlag und die Blinklichter für Flugzeuge bei Nacht. Bei der Beschallung dürfe man den Infraschall, den man gar nicht hört, nicht außer Acht lassen. Bei Licht sei dass sogar am gefährlichsten, da ultraviolette und radioaktive Strahlung am gefährlichsten seien. Beim Schall gebe es aber noch gar keine verlässlichen Studien und man kenne die Gefahren gar nicht. „Wir wissen, dass wir nicht wissen“, hob er in Anlehnung an einen bekannten Philosphen hervor. Das Fraunhofer-Institut und das Robert-Koch-Institut hätten zumindest Bedenken angemeldet. Beide Institute würden nicht im Verdacht stehen zu Umweltorganisationen zu gehören.

Abschließend führte er noch das steigende Infarktrisiko durch hörbaren Lärm und die Gefahr von Verunreinigung des Grundwassers durch Schwermetalle der Windkraftanlagen ins Feld. „Es gibt viele Fragen, aber es wird gebaut, bevor sie beantwortet sind. Die Frage bleibt warum“, beendete er seien Vortrag.

„Für Rainrod wird es richtig hart“

Rechtsanwalt und Jagdpächter Christian Hagemeier stellte sich als Vertreter der Windkraftgegner vor. Er vertrete bereits seit 15 Jahren die Interessen der Windkraftgegner. „Der Rechtsstaat hat sich sehr zugunsten der Windenergie entwickelt, weil das politischer Wille ist“, beschrieb der die Veränderung in den vergangenen Jahren. Die geplanten Windräder in Brauerschwend seien naturschutzrechtlich nicht machbar. Dasselbe gelte für Lauterbach/Maar. Wenn man ausschließlich an den Menschen denke, seien die Planungen für Brauerschwend in Ordnung, jedoch für die Einwohner von Rainrod nicht hinnehmbar. „Für Rainrod wird es richtig hart“, weil man nicht mehr als 120 Grad Umzingelung erreichen sollte. Allerdings seien die Tiere und die Naherholung in Brauerschwend in Gefahr.

Bei von ihm betreuten Fällen seien hinterher die Lärmbelastungen deutlich höher als in den zuvor berechneten Modellen gewesen. „Im Nachhinein wird kein Lärm mehr gemessen und kein Schattenschlag mehr überprüft“, so Hagemeier. Er habe im Main-Kinzig-Kreis jahrelang für eine Nachprüfung kämpfen müssen.

Auch er forderte dazu auf sämtliche Projekte einheitlich zu denken, da gewaltig in den Naturraum eingegriffen werde. Bei den geplanten Projekten am Bastwald habe man nachweislich den Abstand zu den Horsten von Rotmilan, Schwarzmilan und Uhus unterschritten. „Das Waldrecht wird in Hessen schlicht gebrochen. Das ging früher nicht. Die Windenergie wir privilegiert. Das liegt am politischen Willen. Es ist ein politischer Irrsinn diese Energiewende“, beendete er seinen Vortrag.

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Dr. Hans-Peter Frank versuchte, über Windkraft im Allgemeinen aufzuklären.

„Mit Windenergie kein Geld drucken“

Der Geschäftsführer von Hessenenergie und Prokurist bei der Ovag Dr. Hans-Peter Frank wollte abschließend um Verständnis für den Windkraftausbau werben, was ihm jedoch zu Anfang komplett misslang. „Wir verkaufen die Projekte nicht, um damit Geld zu verdienen“, so Frank. Sein angefangener Satz ging im höhnischen Gelächter des Publikums unter, sodass durch seine ungeschickte Einleitung Teile seiner Erläuterungen auf der Strecke blieben. Daher musste er umgehend zurückrudern und klarstellen, dass sein Unternehmen natürlich eine Gewinnerzielungsabsicht hat. Er wollte eigentlich darauf hinaus, dass man „kein Geld drucken“ wolle, sondern von der fossilen Energie endlich weg und das Unternehmen die Anlagen selbst betreibe.

„Wir werden alle sinnlich erfahren, wo die Energie herkommt. Früher waren es ein paar Tausend Kraftwerke, bald sind es Millionen Kraftwerke“, beschrieb Dr. Frank den Prozess der Energiewende. Das gute an der Windkraft sei, dass der Erntefaktor größer eins sei und das gehe nur bei erneuerbaren Energien. Nach einem bis drei Jahren seien die Anlagen bereits CO2-neutral. Der Wald müsse gesetzlich an anderer Stelle wieder aufgeforstet werden. Laut seinen Ausführungen unter Berufung auf die Bundesstatistik 2015 kommen mittlerweile 32 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien.

Den Windkraftgegnern warf er vor, dass sie bewusst emotionalisieren würden, dass Schwermetalle giftig seien, wisse schließlich jeder, aber zu behaupten, dass sie ins Grundwasser durch die Anlagen gelangen, sei schlicht nicht wahr. Doch für einen Teil der Emotionalisierung hatten auch die Projektierer gesorgt. Dr. Frank mit seinem einleitenden Satz und Morber, der offensichtlich bei der Gesundheitsverträglichkeitsstudie nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte.

Keine klaren Mehrheiten im Publikum

In der anschließenden Diskussion mit den gut 150 Bürgern wurde ausgiebig der Infraschall diskutiert, bis Moderator Dieter Boss einschritt. Die Projektierer waren der Auffassung, dass Infraschall durch Wind und Verkehr bereits heute allgegenwärtig seien und man gar nicht messen könne, ob der Infraschall von den Anlagen oder vom natürlichen Wind ausgehe. Die Gegner wollten jedoch jede zusätzliche Infraschallquelle vermeiden, da man das Gefahrenpotenzial bis heute nicht einschätzen könne.

In der emotional heiß geführten Debatte um die Errichtung der Anlagen wurde deutlich, dass die Meinungen der Bürger auseinandergingen. Während die Gegner die bekannten Argumente ins Feld führten, wollten die Befürworter die Anlagen in Kauf nehmen, um dabei den Atomausstieg zu unterstützen. Für den Atommüll sei bis heute noch keine Lösung gefunden worden.

Das war nicht das Ende der Debatte, „die Diskussion geht heute erst los“, so Bürgermeister Georg abschließend. Er rief alle Interessengemeinschaften und Bürger dazu auf, sich weiterhin aktiv zu beteiligen und schlug vor, dass man selbst Veranstaltungen ins Leben rufen könne. Die Nutzung der Räumlichkeiten werde er dafür gerne zur Verfügung stellen.

 

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