Vor dem Bürgerentscheid: Beide Seiten stellen ihre Sichtweisen dar – Wie gewählt wirdFünf Argumente für die 6057-köpfige Wählerschaft
HOMBERG (aep). Wer mitten in Homberg/Ohm beim Café Capri abbiegt und dann die Treppen hinunter über einen kleinen Weg ins Tal geht, der steht schnell vor einem großen Haus mit Skulptur und viel Grün drum herum. Die frühere Grundschule in der Friedrichstraße. So unscheinbar kommt es daher, es ist schwer vorstellbar, dass wegen dieses Hauses und etwas Grundstück am Sonntag alle Homberger zu einem Bürger-Entscheid aufgerufen sind. Es soll ein innenstadtnahes Einkaufszentrum werden – doch Kritiker kämpfen vehement gegen das Projekt. Zwei Tage vor der Abstimmung: Beide Seiten fassen noch einmal ihre Argumente zusammen.
Die Geschichte des Projekts, auf dem früheren Schulgelände zwischen der stark befahrenen Marburger und der recht stillen Friedrichsstraße ein Einkaufszentrum zu errichten, ist bereits mehrere Jahre alt und hat sich erst in den letzten eineinhalb Jahren zu einem Streitobjekt entwickelt – aber dann mit Vehemenz. Zu den ersten Kritikern zählten Anwohner, zu den gewichtigsten aber auch eine Reihe von Stadtverordneten in der Initiative für das Bürgerbegehren. Unter ihnen auch der Stadtverordnetenvorsteher Armin Klein (CDU), der CDU-Fraktionsvorsitzende Norbert Reinhard und die parteilose Stadtverordnete Jutta Stumpf. Zu laut und zu nutzlos, sagen sie, sei die Idee.
Ihnen steht ein Bürgermeister gegenüber, der dieses Projekt mit Unterstützung vor allem der SPD-Fraktion im Stadtparlament intensiv verfolgt, seit Pläne scheiterten, direkt in der siechenden Einkaufsstraße neue und spannende Geschäfte anzusiedeln. Bürgermeister Béla Dören argumentiert mit der Erfahrung aus Jahrzehnten als Stadtplaner – und kann doch nicht versprechen, dass sich mit dem Einkaufszentrum tatsächlich etwas tut. Aber nach allen Regeln der Kunst könnte das halt der Fall sein, sagt er.
Auf Bitten von Oberhessen-live fassten beide Seiten die ihnen wichtigsten Argumente noch einmal zusammen: zur Orientierung kurz vor der Abstimmung. Die Reihenfolge der Darstellung ist völlig zufällig.
PRO:
Innenstadt beleben, dem Wandel begegnen
Bürgermeister Béla Dören nennt fünf Stichpunkte, warum eine Bebauung Friedrichstrasse mit einem Einkaufszenrum wichtig sei (im Wortlaut).
1. Die Innenstadt beleben
Die Innenstadt von Homberg(Ohm) verliert ihre Anziehungskraft, Geschäfte stehen leer. Sie braucht einen Magneten, der möglichst eng an der Frankfurter Straße angesiedelt wird und wieder Menschen und Frequenz ins Zentrum zieht. Dafür haben wir das Gelände der Schule Friedrichstraße mit einstimmigen (!) Beschluss der Stadtverordnetenversammlung gekauft. Es gibt in Homberg kein besseres Geländes, welches die Anforderungen der Interessenten für einen Drogeriemarkt plus Vollversorger und einem kleinen Textilmarkt erfüllt.
2. Dem Demographischen Wandel begegnen
Die Bevölkerung in Deutschland befindet sich in großen Veränderungen, es werden weniger Kinder geboren, die Menschen werden älter. Und besonders im ländlichen Raum findet eine Migration der jüngeren Bevölkerung in Richtung der Ballungsräume statt. Die Bevölkerung von Homberg wird bis zum Jahr 2030 15 Prozent ihrer Einwohnerinnen und Einwohner verlieren. Den älteren Bewohnern die Stadt fußwegegerecht zu erhalten, den Jungen wieder aufkeimende Attraktivität zu bieten sollte unser Ziel sein.
3. Das altersgerechte Wohnen und Einkaufen zusammenbringen
Was nützt eine Einrichtung mit altengerechtem Wohnen, wenn man weit gehen muss, um einkaufen zu können. In fußläufiger Entfernung einzukaufen und alles erledigen zu können, schafft die Qualität, in der ältere Menschen mit ihren Leben allein fertig werden und lange in ihren eigenen vier Wänden bleiben können.
4. Die Angebotsvielfalt erhalten
Die Stadt besteht in ihrem Kern aus der Vielfalt der Angebote: Ärzte, Apotheken, Frisör, Optiker, Buchhandlung und Papierhandel, Banken, Restaurants usw. Hier trifft und begegnet man sich, verweilt dort und hält ein Schwätzchen. Die Vielzahl der Ziele schafft die Frequenz und die unterschiedlichsten Begegnungen machen die Stadt liebenswert.
5. Das Gesicht der Stadt erhalten – die Kernbildung zum Überleben nutzen
Architektur und Gestaltung haben unsere Stadt in ihrer Geschichte geprägt. Überhaupt sind die Stadtrechte erst dadurch entstanden, dass Bürger und Bürgerinnen stolze Bauten errichtet haben, Marktrechte entstanden, Handwerker und Händler , Kirche und Staat lokale Eigenarten entwickelten und die Stadt das Zentrum der umliegenden Dörfer wurde. Dies galt früher und gilt auch heute: Wo eine Stadt nicht mehr Zentrum ist, gibt es keine eigene Kultur, keine gute Versorgung, keine Verbundenheit mehr. Auf der grünen Wiese ist der Ort beliebig, sieht gleich aus, ist austauschbar. Das Gesicht der Stadt verblasst.
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Bürgerentscheid funktioniert wie ein politischer Wahlgang
Der Bürgerentscheid funktioniert im Grunde wie eine politische Wahl auch, erklärt der Wahlleiter Markus Haumann auf Anfrage von Oberhessen-live. Nur nennt der Entscheid sich Abstimmung, nicht Wahl. Aber es gelten die gleichen Öffnungszeiten zwischen 8 und 18 Uhr und die Abstimmung erfolgt in den gleichen Wahllokalen.
Aufgerufen sind 6057 wahlberechtigte Homberger, über die Pläne für das Einkaufzentrum zu entscheiden, wobei ihre Stimme anders herum wirkt, als es klingt. Wer mit Ja stimmt, stimmt gegen das Einkaufszentrum, da die Frage lautet, ob man den Beschluss für die Errichtung aufheben möchte (siehe Muster-Stimmzettel).
Am Ende müssen mindestens 1515 Wähler mit Ja gestimmt haben – das Quorum aller Wähler – und dieser Wert muss unter allen abgegebenen Stimmzetteln die Mehrheit sein, damit der Beschluss des Stadtparlaments aufgehoben ist. Heißt: Stimmten nur 1400 Homberger mit Ja, ist das Ziel des Bürgerbegehrens ebenso verfehlt, wenn es 2000 täten, aber auch 2500 Gegenstimmen.
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CONTRA:
Märkte an ihren Standorten stärken
Einen etwas anderen Weg der Darstellung ihrer Argumente wählten die Kritiker, die sich davon überzeugt zeigen, dass sie eine Mehrheit der Homberger vertreten, da sie bereits eine große Anzahl Unterschriften hatten einsammeln können. Zwar seien die Argumente eigentlich auch bereits ausdiskutiert, heißt es in einer E-Mail, aber dennoch führen sie sie noch einmal auf. Auch ihre stichpunktartig genannten Argumente veröffentlichen wir im Wortlaut:
Was die Initiatoren des Bürgerbegehrens wollen:
1. die vorhandenen (Lebensmittel-) Märkte an ihren Standorten stärken und unterstützen
2. am Einkaufsstandort Ohmstraße schnellstmöglich einen Drogeriemarkt ansiedeln
3. auf dem attraktiven parkähnlichen Grundstück Friedrichstraße barrierefreie Wohnungen unter Erhaltung der denkmalgeschützten Schule schaffen
4. intelligente und innovative Ansätze zum Erhalt der verbliebenen Geschäfte in der Kernstadt entwickeln und hierbei die betroffenen Einzelhändler und Handwerksbetriebe beteiligen
5. den Bürgerwillen strikt berücksichtigen und die Bürger ernsthaft beteiligen sowie gute Kontakte und eine enge Zusammenarbeit mit den Nachbarkommunen pflegen.
Was die Initiatoren des Bürgerbegehrens nicht wollen:
1. die derzeitigen gut angenommenen Einkaufsstandorte durch eine übermäßige Konkurrenz untereinander schwächen oder sogar gefährden
2. ein Denkmal abreißen und ein parkähnliches innenstadtnahes Grundstück mit schlechter Standard-Architektur zubetonieren und asphaltieren
3. das Risiko eingehen und weitere Bauruinen schaffen, falls das „Innenstadtbelebungsexperiment“ des Noch-Bürgermeisters schiefgeht
4. kleinere Einzelhändler und Handwerksbetriebe weiter gefährden oder sogar vernichten durch einen „Riesenmarkt“, der Wurst, Fleisch, Backwaren, Elektrogeräte, Batterien, Lesebrillen, Zeitschriften, Bücher, Hefte, Spielzeug, Kleidung, Schuhe usw. anbietet
5. weitere Rechtsstreitigkeiten mit Bürgern, die ihre Meinung äußern, und den Nachbarkommunen führen.
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