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Instagram und Facebook lehren Anpassung – Ein Aufruf zu mehr eigener IdentitätWeshalb das Leben keine Filter hat

VOGELSBERGKREIS. Wir Menschen sind Künstler unserer Selbst. Das Produkt „Ich“ äußert sich in einer durchdachten Marketingstrategie, die wir häufig in Social Networks verfolgen. Dass wir dabei jedoch oftmals unser richtiges Leben vergessen, ist eine Erkenntnis, die mir in den letzten Wochen stark bewusst wurde.Ein Widerspruch tut sich auf.

Wir sind damit beschäftigt gleich auszusehen, gleich zu handeln – den Konventionen zu entsprechen und wollen gleichzeitig trotzdem anders sein. Somit stehen wir tagtäglich in einem Widerspruch zu uns selbst. Wobei wir uns hiernach sehnen, ist uns wahrscheinlich selbst gar nicht so wirklich bewusst. Unsere Anerkennung, denken wir jedenfalls, können wir nur durch Perfektion erreichen und genau hier beginnt ein großes, nahezu unaufhaltsames Problem des 21. Jahrhunderts.

Hashtag Perfektion

Perfektion ist eine Krankheit, die wir Menschen als solche gar nicht nicht erkennen. Jeder unserer Schritt muss gut überlegt sein, denn schließlich sind Fehler für uns die wahren Krankheiten. Dass Menschen jedoch da sind, um Fehler zu machen, gestehen sich die wenigsten ein. Liegt doch der Sinn darin, daraus zu lernen und einen besseren Weg einzuschlagen. Schließlich wird kein Mensch mit einer Landkarte geboren, die ihm den Weg zum Glück voraussagt. Diesen Weg müssen wir alleine gehen und ob Perfektion dazu der Schlüssel ist, ist tatsächlich fraglich.

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Die Schülerin Jessica Haak ist 17 Jahre alt, lebt in Schotten und ist jüngste Autorin bei Oberhessen-live. Außer Erzählungen über ihre eigenen Erlebnisse veröffentlichte sie bereits mehrere Beiträge, in denen sie mit großer Reife, aber aus jugendlicher Sichtweise über das Leben und seine Fallstricke reflektiert.

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Im Zuge unser Selbstinszenierung vergessen wir nämlich, dass wir eigentlich gut sind, so wie wir nun mal sind. Jeder Makel ist dazu da, um da zu sein und uns auszuzeichnen. Wir sehen das jedoch meistens anders. Jede Falte ist eine Falte zu viel, 160 Zentimeter sind weit entfernt vom Schönheitsideal, und das ein oder andere Pölsterchen ist Schokolade nicht mehr wert. Wir verlernen immer weiter zu genießen. Das einzige was wir noch können, ist uns anzupassen: An Konventionen und Instagram-Profile, an Berühmtheiten und Vorgaben. Dabei verlernen wir gleichzeitig, eigenständig zu denken. Wozu auch , wenn es Menschen gibt, die das Denken übernehmen und Anders-Denkende meistens als unverstandene Randgruppe dargestellt werden?!

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Statt unser Gehirn zu nutzen, philosophieren wir. Wobei moderne Philosophie so viel heißt, wie Zitate unter Fotos zu platzieren. Ob man diese versteht, ob der Künstler bekannt ist oder die Zeit, in der es gesagt oder verfasst wurde – oder eben nicht, ist von geringer Wichtigkeit. Was schön klingt, ist schön. Denken uns die meisten Leute jedenfalls vor. Es reicht, wenn wir äußerlich perfekt sind – wenn wir inmitten einer angepassten Masse irgendwo Anerkennung finden, für etwas, was es schon lange gab. Hier beginnt der größte Fehler der Menschheit und des eigenen, weggesperrten Verstandenes.

Wer nicht sagt was er will, kann nie ändern, was ihn stört

Es steht außer Frage, dass unser Leben durch Gesetze geregelt sein muss. Es steht jedoch nirgendwo geschrieben, dass unser Verstand Grenzen hat. Nirgendwo liest man, dass Kreativität da endet, wo es jemand vorschreibt. Wir haben verlernt, Dinge anzuerkennen, die unser eigener Verstand erzeugt. Wir unterdrücken und verdrängen Gedanken, weil wir uns davor fürchten, dass sie keinen Anklang in unserer Gesellschaft finden. Stumm schreiten wir durch das Weltgeschehen und wollen so viel ändern, doch bleiben immer an dem selben Punkt stehen.

Wer nicht sagt was er will, kann nie ändern, was ihn stört. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, passen wir uns nicht nur selbst an, sondern verlangen es von anderen. Kaum missfällt eine Meinung der unseren, beginnen wir fragend zu blicken oder zu diskutieren. Wir lassen nicht leben und leben selbst nicht. Wir sind immer darauf fixiert nach dem Protokoll zu handeln und allen Ansprüchen gerecht zu werden.

Es werden in der Tat viele Anforderung an den modernen Menschen gestellt. So muss er zuletzt nicht nur sein Privatleben und seinen Beruf unter einen Hut kriegen, sondern er muss stets nach mehr streben und für alle und für sich das Bestmögliche erarbeiten. Jedoch gelingt uns die Trennung verschiedener Bereiche nicht mehr. Uns bleiben wenige Möglichkeiten nach der Arbeit oder nach der Schule einfach mal abzuschalten, durchzuatmen und einfach mal nichts tun. Wir müssen überall an einen Horizont stoßen, der nicht nur uns, sondern auch unser Umfeld zufrieden stellt. Viel zu selten denken wir an uns selbst, unser Wohlfinden und unsere Wünsche. Wie soll das auch funktionieren, wenn man damit beschäftigt ist, die der anderen Menschen auszufüllen und irgendwelchen fragwürdigen Idealen nachzustreben.

Das Leben hat keinen Filter und wir haben keinen Radiergummi. Leben heißt nun mal auch, mit Gegebenheiten konfrontiert zu werden, die alles andere als schön sind. Zwar wird oft davon gesprochen, dass das Leben kein Ponyhof sei, aber auch auf einem Ponyhof fällt eine Menge Mist an. Unser Dasein besteht eben nicht nur aus duftenden Blumenwiesen, herzallerliebsten Menschen und der Erfüllung unserer Träume. Unser Leben ist davon geprägt, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Wir leben nur einmal, und das muss uns stets bewusst sein. Nicht jeder Schritt muss durchdacht oder geplant sein. Viele Wege führen nach Rom und so führen viele Wege zu einem erfüllten Leben.

Daher kann und muss man nicht immer den richtigen gehen und kann auch über Umwege zu seinem Ziel kommen. Unser einziger Fehler besteht hierbei, dass wir unsere Zeit damit vergeuden, angeblichen Fehlern nachzutrauern. Wir bereuen und weinen, haben emotionale Ausbrüche, fühlen uns verloren – selten stehen wir jedoch auf und versuchen den Weg erneut zu gehen. Jeder von uns hat nur eine begrenzte Zeit und wenn wir stets damit beschäftigt sind zu trauern, fehlt uns die Zeit zum Genießen.

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Zu wenig Genuss, zu wenig Spontanität

Jeder von uns macht Fehler und handelt nicht immer zu der Zufriedenheit anderer. Das ist gut so. In erster Linie müssen wir zufrieden mit uns selbst sein und erst dann können wir andere glücklich machen. Wir müssen uns selbst erfinden – müssen tanzen, uns anmalen, schreiben, laufen oder eben feiern. Wir sollten aufhören andern Menschen den Weg weisen zu wollen, wenn wir unseren eigenen noch finden müssen. Ebenso sollten wir unser Leben mit mehr Leichtigkeit erleben. Das heißt nicht, dass Schule und Beruf gleichgültig sind. Das ist keineswegs der Fall. Wir vergessen jedoch, dass es ebenso andere Prioritäten im Leben gibt. Wir genießen zu wenig und verlieren unsere Spontaneität. Da draußen lauern so viele wunderbare Dinge. Viel zu selten schätzen wir das Offensichtliche, gehen raus und freuen uns, über die Tatsache, dass es uns und andere Menschen gibt.

Instagram und Facebook schüren Konkurrenzdenken

Wir kritisieren viel lieber und vergleichen uns mit anderen. Diesem Konkurrenzdenken kommt Instagram und Facebook unglaublich gut entgegen. Hier streben die allermeisten nach Anerkennung, die sie ihrer Meinung nach nur durch eine perfekte Selbstinszenierung erreichen können. Dadurch, dass jeder nach dem strebt, was andere ihm angeblich geben können, entsteht ein unsäglich nervlicher und fragwürdiger Einheitsbrei. Jeder fotografiert, trägt und zitiert das selbe. Wer von diesen Menschen möchte jedoch wirklich so sein?! Hier geht es nicht mehr darum, sein Leben zu präsentieren, sondern das von anderen zu leben und wieder andere neidisch zu machen.

Wir Menschen sind jedoch wie Schokolade – nur weil man sie einschmilzt verliert sie ihren Geschmack nicht. Nur weil plötzlich alle danach streben gleich auszusehen und zu leben, heißt das noch lange nicht, dass jeder den selben Charakter hat. Wir sind gut, so wie wir sind. Mit all unseren Fehlern, mit unseren Geschichten und unseren Macken. Unsere Witze sind vielleicht nicht immer die besten und unsere Sätze nicht immer durchdacht – aber genau das ist richtig. Wir müssen uns nicht verstellen, um geliebt oder gemocht zu werden.

Es gibt mehr als 7,2 Milliarden Menschen und mindestens genauso viele verschiedene Meinungen. Wir können uns nicht überall ergänzen und der selben Meinung sein, aber wir können reden. Da draußen wartet so vieles auf uns, was wir gar nicht erwarten – auch nicht von uns selbst. Da brauchen wir keine Filter, keine Hashtags und keine Follower. Dort draußen, und damit meine ich in unserem richtigen Leben, brauchen wir eine handvoll Menschen, die uns so nehmen wie wir sind und die wir, mit all ihren Fehlern lieben – eine handvoll Menschen, die uns dazu bewegen, unser Leben zu genießen und einfach nur zu leben.

Jessica Haak

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