Zu Besuch in der Villa Raab – Wo einst die Fabrikanten mit Dienstmädchen lebtenFotos und Fantasie lassen alte Pracht erahnen
ALSFELD. Das Erwachen aus dem Dornröschenschlaf kam mit schwerem Gerät: Motorsägen, Fräsen, Lastwagen rückten an, um den Wildwuchs im Garten zu beseitigen. Und nun zieht die Villa Raab an der Altenburger Straße in Alsfeld wieder alle Blicke auf sich, abgeschirmt von einem Bauzaun, bis das Original zurückkehrt. Und viele Alsfelder möchten wissen: Wie sieht es drinnen aus in dem stolzen Haus, das die Fabrikantenfamilie Raab vor 110 Jahren direkt neben der Fabrik errichtete? Oberhessen-live lädt ein zu einem fotografischen Rundgang durch die Stockwerke: Einblicke in Zeiten prunkvollen Wohnens.
Wegen des großen Interesses, dass die Villa seit jeher begleitet, ermöglichte die Familie Bohn, die das Gebäude erworben hat, um es denkmalgerecht wieder herzustellen, eine Foto-Session im Haus. Dabei setzte ich eine besondere Fototechnik ein: die HDR-Fotografie. High Dynamic Range-Bilder zeigen mehr als auf üblichen Fotos möglich ist, bringen Kontraste zusammen, die sonst nicht auf einem Bild sichtbar werden und ermöglichen so ungewöhnlich plastische Ansichten.
Eine Art Hyperrealität entsteht und vermittelt inmitten des ganzen Verfalls, den mittlerweile das Haus befallen hat, doch eine Ahnung von der einst imposanten Erscheinung. Ein bischen mystisch, ein bisschen märchenhaft. Man stelle sich die Zimmerfluchten, diese Treppe, die Türen, Fenster, den Stuck in dem Glanz vor, den sie vor Jahrzehnten verströmten. So bekommt die Öffentlichkeit einen Eindruck, wie er zuletzt 1990 möglich war, als die Jugendstil-Villa zum Tag der offenen Tür der Kulturdenkmäler besucht werden konnte. Wenige Jahre später schloss sich die Tür des leeren Hauses – um erst in diesem Sommer wieder geöffnet zu werden.
Tanja Bohn, in der Familie zuständig für das Projekt, begleitete mich durch die drei Geschosse über dem Keller. Wenn sie die Nutzung der insgesamt 27 Räume und ihre Ausstattung erklärt, erzählt sie auch ein Stück Alsfelder Geschichte, als bei den reichen Familien noch Dienstmädchen wohnten.
Wer heute die Villa Raab besucht, steigt über Kabel und Werkzeugkisten. Denn Elektriker sind dabei, in jedem Stockwerk Lampen zu installieren. Die sollen anderen Handwerkern in der dunklen Jahrzeit das Licht spenden. Großzügig empfängt die Eingangsdiele den Besucher. Der Blick schweift umher und bleibt an Details hängen: die wertvollen, geschwungenen Fenster in den Zimmertüren, der Stuck an der hohen Decke, die aufwendig gearbeiteten Türgriffe. Der Griff ist aus Horn, erklärt die Hausherrin. Das ist eigentlich kein Wunder: War doch Horn das Material, mit dem die Raab’sche Fabrik arbeitete. Man stellte jene kunstvoll geschwungenen Pfeifen aus Horn her, mit denen Männer der Jahrhundertwende auf alten Fotos posieren.
Eine Küche samt Speisekammer, Ess-, Wohn- und Arbeitszimmer enthielt das Erdgeschoss früher. Eine winzig-schmales Bad, erkennbar an den gekachelten Wänden, geht vom Flur ab und erstaunt: Bei allem einstigen Prunk war dieser Bereich den Menschen offensichtlich nicht so wichtig wie heute.
Früher müssen bunte Tapeten die Räume geziert haben, doch sind sie längst vermodert. Die Reste lassen sich leicht von der Wand ziehen. Immerhin: Weil das Dach der Villa vom letzten Eigentümer intakt zurückgelassen wurde, hält sich der Verfall der Wände und Decken in Grenzen. An einer Stelle im Ergeschoss hat die Decke aber doch ein großes Loch. Das kommt von Wasser, das über den Balkon in die Wand gesickert ist, erklärt Tanja Bohn. Die schweren Fensterläden sind, soweit intakt, herabgelassen, um Einbrechern den Einstieg zu erschweren. Es muss sie aber gegeben haben, verraten Beschädigungen, die nach Vandalismus aussehen. Die Küche hat geschwärzte Wände. Ein Brand in alter Zeit oder ein verbotenes Lagerfeuer von Eindringlingen?
Das kunstvoll verzierte Treppenhaus lädt zum Gang ein Stockwerk höher. Was immer heute an den Treppenwänden bröselt, es muss einmal interesant ausgesehen haben. Das Erdgeschoss und der erste Stock sind weitgehend identisch. Neben Küche, Wohn- und Esszimmer gibt es im ersten Stock auch zwei Schlafzimmer. Große Flügeltüren führen vom Wohnzimmer auf den kleinen Balkon – doch der nähere Blick zeigt: Es sind moderne Fenstertüren aus Plastik, kaum kaschiert durch goldfarbene Sprossen. Genau daran scheiterte die Sanierung vor 20 Jahren, erklärt Tanja Bohn: Die Fenster waren nicht denkmalgerecht. Der Bauherr ließ aber lieber die Bauarbeiten stoppen, als sich den Auflagen des Denkmalöschutzes zu beugen. Seither herrschte Ruhe in der Villa.
Der erste Stock enthielt eine Besonderheit: eine zusätzliche Badewanne am Ende der Diele, direkt am Ausgang zum vorderen Balkon, der vor 25 Jahren noch wie ein Wintergarten ausgebaut war. Hinter den Tapeten an dieser Stelle kamen alte Zeitungen zutage, die von mehreren Bauphasen erzählen: Die eine Schicht Zeitung stammt von 1932, die andere trägt das Datum 1954.
Noch einen Gang die Treppe hinauf, endet plötzlich aller Prunk: kein Stuck mehr, keine aufwendigen Fliesen. Modern nüchtern kommt dieses Stockwerk daher. „Hier haben die Mädge gewohnt“, erklärt die Bauherrin. Das war ihre Etage mit zwei Wirtschaftszimmern und fünf Räumen zum Wohnen. Immerhin, eines hatten sie ihren Arbeitgebern voraus: einen Ausblick über Alsfeld. Eines der Zimmer hat einen Erker, von dem aus man die Walpurgiskirche sehen kann. Darüber kommt nichts mehr: Das Dachgeschoss ist ungenutzer Raum.
Aber auch da oben: Es bröckelt an allen Enden, und als Laie fragt man sich, wo anfangen, wo aufhören mit der Sanierung? Wie lange braucht es, der Villa zu alter Pracht zu verhelfen. Ja, nickt Tanja Bohn: „Das ist viel Arbeit“. Diese Sanierung zu koordinieren, engagierte das Ehepaar Bohn den Architekten Jochen Weppler – genau den Mann in Alsfeld, der sich auf Bauen und Historie zugleich versteht. Jochen Weppler ist nämlich auch Vorsitzender des Geschichts- und Museumsvereins. Und die Restaurierung der Villa: ein Fest für den geschichtsinteressierten Baufachmann! Sie selbst wurde auch aktiv, fuhr eigens zum Jugendstil-Festival in Bad Nauheim, um Handwerker zu finden, die sich darauf verstehen, mit so alten Materialien zu arbeiten, wie sie in der Villa verwendet wurden.
Denn, wenn die Villa Raab in zwei bis drei Jahren für einen noch nicht bestimmten Zweck wieder leuchten und geöffnet werden soll, dann sollen auch die kunstvollen Türklinken noch aus dem Material bestehen, das die Erbauer 1904 verwendeten: Pfeifenhorn.
Von Axel Pries
Ich war schon als kleines Kind immer sehr fasziniert von diesem Gebäude, was sich auch bis heute nie geändert hat. Leider findet man im Internet wenig alte Bilder von der Villa. Ich freue mich sehr dass dieses wunderbare Bauwerk nun saniert und restauriert wird, das schönste Gebäude überhaupt in unserem schönen vogelsberg!
Der Bericht ist wunderbar einen kleinen Einblick zu bekommen, mal einen Blick in das Innere werfen zu können… Was mich und bestimmt auch viele andere interessierten würde, ist die Geschichte, und die Menschen die dieses tolle Bauwerk in Auftrag gegeben haben und darin gewohnt habe, über den Fabrikanten Ludwig raab und so weiter, einen solchen Artikel würde ich mir nun, wo die Villa langsam wieder neues Leben eingehaucht bekommt, wünschen :)
Tolle Sache ich wünsche dem paar Bohn viel erfolg und freue mich schon auf das wundervolle Ergebnis.
Ich habe in den Sechsziger Jahren als Lehrling mit der Firma Pantke dort öfters Malerarbeiten durchgeführt. War immer ein Erlebnis in diesem tollen Haus zu arbeiten
Das ist ein tolle Nachricht, habe immer gedacht es wird sich doch bald jemand finden für dieses Tolle Haus, hätte es schon lange gekauft, wenn die Mittel da gewesen wären, es ist wie ein Märchenschloss. Das zum Leben erweckt wird.
Wo kann mann diese Bilder erhalten
Theoretisch beim Fotografen Axel Pries. In der Praxis aber nur bei der Familie Bohn. Die dürfen bestimmen, was rausgeht.
Vor 30 Jahren habe ich neben der Villa Raab gewohnt und mir immer gewünscht, dass sich jemand dieses Gebäudes annimmt. Danke an Tanja und Ralf Bohn, dass die Villa bald zu neuem Leben erwachen wird.
Ich habe auf Facebook eine Gruppe „Villa Raab – wir sind Fans!“ gegründet und freue mich auf rege Beteiligung.
Eine klasse Bilderreigen von der RAABS-VILLa
Gelungener Beitrag Herr Pries. Schließe mich dem Vorschlag, den Herr ThomasR in seiner Mail gemach hat, an.
Der Familie Bohn wünsche ich für Ihr Vorhaben viel Glück und alles „Gute“.
Ich schließe mich den Worten meiner beiden Vor“redner“ an und freue mich auf die weitere Berichterstattung.
Dieses Haus ist ein architektonisches Schmuckstück!
Vielen Dank, Herr Pries für die hochinteressanten Einblicke in diese geheimnisvolle alte Villa. Ich habe mich schon oft gefragt, wie mag es darin wohl aussehen? Die Bilder sind durch die HDR- Technik natürlich besonders eindrucksvoll. Vielleicht ist es ja möglich, dass hier so eine Art Serie/Reportage mit den einzelnen Baufortschritten entsteht? Das würde ich als alter Alsfelder mir wünschen.
Kompliment für diesen gelungen Beitrag. Die Bilder sind stimmig und mehr als nur gelungen. Sie spiegeln den mystischen Charakter dieses Areals gelungen wieder . Als Alsfelder Bürger bedanke ich mich auch bei „Bohns“ für die Iniative ich freue mich jetzt schon auf die Wiedergeburt dieses Jugendstiljuwels