Alsfelder Tierschützer wollen Katzenhalter und Kommunen in die Pflicht nehmenEine neue Satzung gegen das Katzen-Elend
ALSFELD. Wenn Bettina Reser dieses Gehege zeigt, dann ist ihr Freude anzumerken: „Unser Katzen-Paradies“, sagt sie und weist auf die Gitter, die im Tierheim eine großzügige Fläche samt kleinem Häuschen abstecken. Dahinter schauen ein paar Katzen scheinbar gelangweilt rüber. Sie könnten auch raus ins Freie, erzählt sie. Kein Zweifel: Diesen Tieren geht es gut. Aber was die Tierschützerin eigentlich erzählen möchte: Ganz vielen verwilderten Katzen geht es schlecht, und es werden mehr. Dabei gibt es in Hessen eine neue Handhabe, um dem Katzen-Elend entgegen zu wirken: Kommunen können Halter zur Kastration ihrer Lieblinge verpflichten. Das möchten sie und andere Tierschützer auch in Alsfeld erreichen.
Herrenlose Tiere, speziell Katzen, seien zu einem großen Problem für das Alsfelder Tierheim geworden, erklärt die Mitarbeiterin des Heims bei einem Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen im „Pfotencafé“ auf dem Tierheim-Gelände. Dort hat sich in den vergangenen Jahren sichtbar einiges getan: Es gibt neue Unterbringungsmöglichkeiten für Vierbeiner, die aus welchem Grund auch immer nicht mehr bei Menschen leben können oder dürfen, mehr Platz auch für die Katzen. Erwartungsvolle Hundeaugen empfangen jeden Besucher, dabei fällt sofort auf: Es ist wesentlich stiller geworden im Alsfelder Tierheim. Anhaltendes Kläffen bildete einst eine unaufhörliche Geräuschquelle. „Wir haben etwas Neues eingeführt“, erzählt Bettina Reser auf dem Weg an den Zwingern vorbei: Die Hunde werden nun, wenn möglich, in Gruppen gehalten. „Das Bellen hat aufgehört.“
„Tibor“: auf dem Bauernhof fast verhungert
Und das große Katzenhaus führt sie gerne vor. Drinnen ein sauberer, langer Flur, von dem Zimmer links und rechts abgehen, in denen die eigenwilligen Tiere ein neues, als Übergang gedachtes Zuhause gefunden haben. „Tibor“ gehört dazu. Der vielleicht neun Monate alte Kater schnurrt Bettina Reser an, als sie ihn auf den Arm nimmt. Mit „Tibor“ ist man auch schon mitten in der Problem-Geschichte: „Tibor“ wäre auf einem Bauernhof fast verhungert und an Krankheiten gestorben, gilt damit als ein klassischer Fall für das Katzen-Elend in der Region. Ein Problem, bei dessen Lösung die Stadt Alsfeld nun auch mit einer Verpflichtung für Katzenhalter helfen könne.
Die gemeine Hauskatze, die den Menschen umgibt, ist nicht mehr in der Lage, ohne menschliche Unterstützung zu überleben, erklärt die Tierheim-Mitarbeiterin im „Pfotencafé“: „Die Katzen sind zu stark domestiziert“. So erklärt es auch eine Broschüre vom Deutschen Tierschutzbund: Verwilderte Katzen – nicht zu verwechseln mit den echten Wildkatzen – könnten sich durch Jagd kaum noch selbst ernähren, geschweige denn den Nachwuchs. Doch der Vermehrungstrieb funktioniert noch tadellos: Katzen haben eine geradezu unheimliche Vermehrungsrate. Da ein weibliches Tier – nach nur einem halben Jahr geschlechtsreif – zwei bis drei Mal im Jahr drei bis vier Junge wirft, die wiederum noch im selben Jahr Nachwuchs bekommen könnten, ergebe sich laut Tierschutzbund theoretisch aus nur einer Katze die unglaubliche Zahl von 240 Millionen Nachkommen in zehn Jahren. Theoretisch. In der Praxis sind es nicht so viele – aber dahinter verbirgt sich das große Katzen-Elend massenhaft qualvoll verendender Tiere, bei dem Tierschützer nur eine Lösung sehen: die rechtzeitige Kastration aller Katzen mit Auslauf. Am besten, indem Besitzer per kommunaler Satzung dazu verpflichtet werden – und die Kommune dazu, sich aktiv um herrenlose Tiere zu kümmern. Sprich: sie zu fangen, zu kastrieren und durch Futterstellen zu versorgen.
Um die kümmere sich nämlich im Grunde niemand, erzählt Gerlinde Greb, die wie Bettina Reser im Alsfelder Tierheim engagiert ist. Herrenlose Tiere seien keine Fundtiere, um die sich die Stadt Alsfeld sich kraft Gesetz kümmern muss. So fallen herrenlose Tiere durchs Raster – und die vermehrungsfreudigen Katzen bereiten Tierschützern Sorgen. Gerade erst habe sie selbst in Liederbach auf einem Hof zehn herrenlose Jungkatzen entdeckt, eingefangen, gesundgepflegt, kastriert – und sie dann wieder ausgesetzt. Seither versorge sie die Tiere mit Futter, das sie mit eigenem Geld bezahlt.
Aufruf ohne Resonanz: Ohne Verpflichtung geschieht nichts
Ohne Verpflichtung geschehe nichts. Auch ein Aufruf an Bauern, Katzen auf dem Hof einzufangen und auf Kosten des Alsfelder Tierschutzvereins kastrieren zu lassen, sei völlig ohne Resonanz geblieben. „Da kam nicht ein Bauer“, sagt Gerlinde Grebe. Die häufige Methode, zu zahlreichen Katzen-Nachwuchs dadurch einzudämmen, dass frisch geborene Katzenwelpen ertränkt oder erstickt werden, lehnen sie nicht nur als barbarisch ab, sondern verweisen auf das Tierschutzgesetz: Diese Praxis sei auch nicht erlaubt.
Eine Verpflichtung für alle Katzenhalter, der Vermehrung einen Riegel vorzuschieben, sei dagegen durchaus wirksam, auch wenn die praktische Ausführung Lücken hat: Das sei nämlich in zahlreichen Beispielen bereits erwiesen. Eine Liste führt rund 250 deutsche Kommunen auf, in denen bereits eine Kastrations- und Kennzeichnungspflicht für Katzen besteht – die meisten in Niedersachsen, gefolgt von Nordrhein-Westfalen.
Priska Hinz: „Städte und Gemeinden können jetzt gezielt Maßnahmen ergreifen“
Seit Mitte September ist das auch in Hessen möglich, geht aus einer Mitteilung des hessischen Umweltministeriums hervor: „Städte und Gemeinden können jetzt gezielt Maßnahmen gegen lokales Katzenelend ergreifen“, sagt demnach die zuständige Ministerin Priska Hinz. Dadurch werde nicht nur das Katzen-Elend entschärft, sondern würden auch Tierheime wie Kommunen finanziell entlastet. Die Ministerin appelliert, diese Möglichkeit auch zu nutzen.
Appell an Bürgermeister Stephan Paule
Mit einem solchen Appell hätten sie sich beim Sommerfest des Tierheims auch bereits an Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule gewandt, erklären die Tierschützerinnen. Das Ergebnis ist offen. Darauf angesprochen, erklärt Paule gegenüber Oberhessen-live, dass er erst ein Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern des Tierheims führen wolle, ehe er sich äußert. Das solle in den nächsten Wochen stattfinden.
„Tibor“, der kleine Kater im Katzenhaus, hat Glück gehabt: Er lebte mehr schlecht als recht auf einem Hof in Lingelbach, erzählt Bettina Reser, war krank und völlig abgemagert. Das jetzt pechschwarze Fell sei durch seinen schlechten Zustand in einen Grauton übergegangen. Sie nahm ihn mit ins Heim, und „Tibor“ sieht inzwischen wieder fit aus. Er ist anschmiegsam und schnurrig schmusig, gesund bis auf einen chronischen Katzen-Schnupfen. Vielleicht findet der junge Kater ja auch wieder ein richtiges Zuhause.
Von Axel Pries
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