Faszinierende Ausstellung von Bodo Runte und Klaus SchlosserEin Labyrinth aus Menschlichem
ALSFELD. Federleichte Linien umgrenzen ein buntes Farbenspiel, das das Innere des Raumes schmückt. Umrandet von Fotoreihen, ausgewählten Bildkollagen und Großaufnahmen, hauptsächlich im Schwarz-Weiß-Kontrast gehalten. Die tänzelnde Leichtigkeit der Linienführung und das Spiel mit Licht, Schatten und Fotolinse erfasst, was das Wesentliche ausmacht: den Menschen. Menschen, wie sie wirklich sind, und nicht wie sie sein sollten. „Menschliches“ daher der Titel, der durch ein freischwebendes Leinwandlabyrinth interessant aufgebauten Ausstellung, die im Beisein vieler Kunstinteressierter gestern Abend im Alsfelder Regionalmuseum eröffnet wurde.
Die beiden in der Region bekannten Künstler – Fotograf Bodo Runte und Maler Klaus Schlosser – hatten zur Vernissage ihres neuen, gemeinsamen Projektes eingeladen. Eine Ausstellung, deren Betrachtung ein jeder einen zweiten und vor allem konzentrierten Blick schenken sollte, denn was dort in dem kleinen Raum des Museums zu sehen ist, ist ein faszinierendes Spiegelbild der Gesellschaft – ihres Tuns, ihres Handelns, ihres Lebens und dessen Spuren, die es zeichnet. „Großartig“ die Resonanz der Gäste, die an dem Abend einen ersten Blick in den Ausstellungsraum werfen durften.
Die Exponate von Klaus Schlosser, den das „Alsfelder Urgestein“ Bodo Runte bereits Anfang der 80er Jahre als Künstler im Alsfelder Ständehaus vorstellte, zeigen Menschen in verschiedenen Lebenssituationen – mal Paare beim Rauchen, Flanieren oder Diskutieren; mal eine Gruppe beim Shoppen oder Sport treiben oder auch Einzelpersonen als Sieger, Denker, Zeitgetriebene oder Optimisten. Federleicht wirken die Bleistift- oder Graphitstriche aufs Papier gebracht, die den Farben aus Tempera, Acryl oder Aquarell die Konturen zum Menschensein geben. Detailgenau, manchmal mit etwas Ironie und Biss, immer energiegeladen und lustvoll – und vor allem eines: treffsicher.
Der gelernte Retuscheur und Drucker ist seit langer Zeit als Maler und Zeichner vielfach präsent in der Region. Er ist wie Runte ein genauer Beobachter seiner Umgebung, jede menschliche Begegnung regt ihn zu Zeichnungen, Grafiken und Malerei an. „Er zeigt uns Menschenkinder mit unserer Unvollkommenheit, manchmal überspitzt bis hin zu etwas lächerlichen Details mittels der Linie“, stellt ihn seine Radenhausener Werkstattkollegin Burgi Scheiblechner in ihrer Laudatio vor. Letzteres meint sie gar nicht böse, sondern vielmehr ist sie beeindruckt von dessen, was eine Linie alles kann. Schlosser zeige mit Hilfe einer einfachen Linie Gestalten, Geschichten und könne damit Emotionen erzeugen.
Die Linie sei nicht neutral, sondern habe ein Eigenleben, einen Ausdruck. „Die Zeichnung erzeugen Emotionen nicht nur durch das Was sondern wesentlich auch durch das Wie der Darstellung – unwillkürlich ist sie ein Spiegelbild der Motorik und des Temperaments des Künstlers.“
Temperament und Motorik blieben im Gegenzug beim Fotografen im Hintergrund, dessen ist sich die Laudatorin sicher, und skizziert deren und im Speziellen Bodo Runtes Arbeitsweise: „Es spielt sich alles im Kopf des Fotografen ab. Er beobachtet, analysiert, wählt nach seinen Vorstellungen Ziele aus, trifft Entscheidungen, die er mit Hilfe der Technik zu sichtbaren Ergebnissen bringt.“ Der 66-jährige Alsfelder bestätigt dies. Bewusst habe er Menschen aus dem „Alsfelder Stadtbild“ angesprochen, die ihm interessant erschienen. Auch Runte ist ein scharfer Beobachter, hat einen Blick für Kleinigkeiten und beschränkt sich aber auf das Wesentliche.
„Er braucht nicht die weite Welt, braucht keine spektakuläre Exotik“, charakterisiert Scheiblechner den Alsfelder. Beide Künstler würden sich in der nahen Umgebung umschauen und über die Vielfalt der menschlichen Erscheinungsform erstaunt sein, die sie in ihrem kleinen Bereich, in dem sie leben, der sie umgibt, vorfinden.
Bekannte Gesichter
So verwundert es nicht, dass das Alsfelder Publikum viele Gesichter auf den Schwarz-Weiß-Portraits Runtes wiedererkannte: Die Dame von der Fleischtheke, den Fahrer des ausrangierten Krankenwagens, die Bänkerin, aber vor allem einen, den Bodo Runte in einer ganzen Fotoserie bedenkt: Den ausdrucksstarken älteren Mann aus der Innenstadt, nennen wir ihn Herr M., dessen Gesicht gezeichnet ist vom Leben und Erlebten. Ihn und die „Landkarte“ seines Gesichtes hat der Fotograf mehrfach abgelichtet – und wenn es nach dem Model gegangen wäre, sogar noch viel öfter. Denn der Mann fand Gefallen an den Arbeiten Runtes und fing an sich für Fotografie zu interessieren, wie ein Bild zeigt, auf dem er selbst eine kleine Kamera neugierig in der Hand hält.
Runte schönt seine Bilder nicht – obwohl inzwischen auch digital aufgenommen. Zwar bearbeitet er die Fotografien noch am Bildschirm nach, aber nur bezüglich des Lichts und der Farbgebung. Keine Retusche. Er zeigt, was er sieht. Und in vielen Menschen sieht er Interessantes. Dabei fragt er nicht immer nach dem Umfeld, dem Leben und dem Alltag seiner Modelle – er versucht das, was er in ihnen Faszinierendes sieht, auf den Bildern darzustellen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Authentizität ist sein Anspruch. Ist der Anspruch beider Künstler, den Scheiblechner beiden auch konstatiert.
Und auch Jochen Weppler, der als Vorsitzender des Geschichts- und Museumsvereins und damit Hausherr der Ausstellungsräume die offizielle Begrüßung der Gäste und Künstler übernahm, war sich sicher, dass die Gäste wieder eine Ausstellung mit „Originalität, Überzeugungskraft und Authentizität“ erwartet. Seine Erwartungen wurden erfüllt. Nein, übertroffen.
Ein Statement gegen die „Selfie-Flut“
Denn bei der „wahren Menschenflut“ die sich derzeit mit „Selfies“, den Handy-Selbstportraits in sozialen Netzwerken, oder sonstigen Fotos im digitalen Zeitalter über den Planeten ergießt – wie „Burgi“ provokant ihre Rede begann – sind die Exponate von Runte und Schlosser neue, ernstzunehmende Sichtweisen der „unberechenbaren, rätselhaften Wesen, die in einer unzählbaren Mannigfaltigkeit auftreten“, die auch hier zur eigenen Sichtweisen und Interpretationen anregen.
Fazit: Zwei individuelle Künstler, zwei unterschiedliche Herangehensweisen und dennoch dasselbe Bestreben „Menschliches“ in ihrer Einzigartigkeit und Facettenreichtum darzustellen. Eine gelungenen Vernissage, die die Aufforderung zum genauen Hinschauen gibt. Hinschauen auf den natürlichen Menschen. Einfache Linien, flächig aufgetragene Farben und das Spiel mit Licht und Schatten reichen den beiden Künstlern „um zu zeigen, wie sie eben sind, die Menschen“. Mit diesem Schlusssatz eröffnete Burgi Scheiblechner offiziell die Ausstellung, die dem Publikum ab sofort bis Ende August zugänglich ist.
Von Anja Kierblewski
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