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SERIE: Sagen Sie mal! – Der Linke Michael Riese über Linke und Weckmusik aus China„Soziale Bewegungen wurden schon oft totgesagt“

ALSFELD (aep). Es gibt Menschen in der Region, die man irgendwie kennt, Menschen, die für Ansichten und Einsichten stehen – Menschen, die man schon immer mal was fragen wollte. Oberhessen-live tut das in einer neuen Serie: “Sagen Sie mal…” Den Anfang machte der Pfarrer Henner Eurich, quasi das Kontrastprogramm liefert hier Michael Riese. Der 62-jährige Alsfelder ist von Beruf Lehrer, aber bekannter durch sein 20-jähriges kommunalpolitisches Engagement erst bei den Grünen und heute bei der Partei der Linken im Alsfelder Stadtparlament wie im  Kreistag. Michael Riese ist verheiratet und Vater zweier Töchter.

Sagen Sie mal…!

Herr Riese! Als aktiver Linker und bekennender Sozialist: Lassen Sie sich eigentlich morgens von der Internationalen wecken – mit der Zeile „Wacht auf, Verdammte dieser Erde!“?

Das nicht, aber als Jugendlicher ließ ich schon mal in einem Zeltlager „Der Osten ist rot“, damals die chinesische Hymne, durch den Lautsprecher trompeten. Dann waren alle wach.

Apropos Internationale. Der Text dieses berühmten Kampfliedes stammt von 1871, die Melodie von 1888, kann man bei Wikipedia nachlesen. Wie aktuell ist die Internationale heute noch?

So aktuell wie die Ideale der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit von 1789.

Der irische Schriftsteller und Denker Sir Bernhard Shaw sagte einmal einen berühmt gewordenen Satz: „Wer mit 18 kein Sozialist ist, hat kein Herz, wer mit 40 noch einer ist, keinen Verstand“. Wieviel Recht hat er?

Shaw war genial, hatte aber nicht immer Recht. Die sozialistische Bewegung krankte fast nie am Verstand, aber am Mangel des Herzens und der Menschlichkeit. Bebel soll gesagt haben, der Sozialismus sei eine tolle Sache, nur die Sozialisten taugten nichts.

Linke Bewegungen und Regierungen, so scheint es, haben ihr Jahrhundert gehabt, und die Linke erscheint manchmal wie ein Relikt aus vergangener Zeit, wenn sie Solidarität unter Arbeitnehmern einfordert und Verantwortung der Vermögenden für die Gesellschaft. Solidarität und Verantwortung – sind das überholte Werte?

Soziale Bewegungen wurden schon so oft totgesagt. Mitte der 60er Jahre glaubten auch viele linke Sozialdemokraten, die Krisen des Kapitalismus seien endgültig vorbei. Man wurde eines besseren belehrt. Angesichts der Banken- und Finanzkrise stellen kluge bürgerliche Denker fest, dass dem Bürgertum die moralischen Werte abhanden kommen. Soziale Forderungen werden dann erledigt sein, wenn sie erfüllt wurden. Das kann aber wohl noch etwas länger dauern.

In der lokalen Politik, heißt im Alsfelder Stadtparlament und im Kreistag, gelten sie als intelligenter, scharfzüngiger Kritiker – wenn auch gelegentlich als Rufer in der Wüste oder gar „linker Spinner“. Kommen Sie sich politisch manchmal einsam vor?

Danke für die Komplimente. Die interessantesten Persönlichkeiten waren oft die Hofnarren. Ich schätze, die fühlten sich auch oft recht einsam.

Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, wird wieder zu Solidarität und Geschlossenheit aufgerufen – vor kleiner, lange eingespielter Zuhörerschaft. Reicht das, um der Masse der Arbeitnehmerschaft eine Stimme zu geben?

Nein, aber Rituale sind doch auch ganz schön. Manche träumen von den Massendemonstrationen, wie sie in Spanien und Griechenland stattfinden. Mir wäre es ganz lieb, uns bliebe der soziale Niedergang wie in diesen Ländern erspart. ich könnte dann auch auf Massenproteste verzichten.

Wie lebt man als aktiver Linker eigentlich in unserer materialistischen Gesellschaft? Spenden Sie viel an wohltätige Organisationen oder wie werden Sie Ihrem eigenen Anspruch gerecht?

Wow. Wenn man in einer politischen Partei und in Vereinen und Gesellschaften Mitglied ist, dann verändert man die Welt auch mit einem Anteil seines Einkommens. Aber ich unterstütze finanziell auch Organisationen und Aktionen, die mir wichtig sind.

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